Alles Glück dieser Erde

Mein Pferd - der Wunderheiler


Mein Pferd - der Wunderheiler Es gibt heutzutage massenweise Therapieansätze und Coachings, bei denen man sich der Präsenz eines Pferdes bedient. Von Streicheltherapie mit körperlich sowie geistig beeinträchtigten Kindern bis hin zu Coachings für die Chefetage, bei denen die Jungs und Mädels mit dem Anzugjob alle mal versuchen dürfen, einen Huf anzuheben um ihre Autorität bei einem Warmblüter unter Beweis zu stellen, sind die ulkigsten und manchmal auch fragwürdigsten Ideen dabei.
Dass so ein Pferd „spiegelt“, davon hat bestimmt der ein oder andere Nicht-Pferdemensch auch schon mal gehört, auch wenn er sich konkret nichts darunter vorstellen kann und daß ein Pferd sogar in der Lage ist, Emotionen zu empfangen, bevor der Mensch selbst begriffen hat, welche Gefühle er gerade in langen Wellen ausstrahlt, dürfte jedem Reiter spätestens seit der letzten „Spooky-Situation“ schon mal aufgefallen sein.
Mittlerweile gibt es da draußen sogar Pferdeflüsterinnen (es sind immer Mädels), die von sich behaupten, tatsächlich mit Pferden sprechen zu können. Sie stellen mentale Fragen an das Pferd und fassen dann die empfangenen Informationen für die sprachlosen „Stumpfsinnigen“, die fassungslos daneben stehen, das Anliegen des Pferdes in Worte. Schön, wenn man derart gesegnet ist.
Ich gehöre da leider eher zu den Stumpfsinnigen, die noch stundenlang die Körpersprache des Pferdes studieren müssen, bevor man mal vorsichtig vermuten darf, ob das Pferd gerade ein besonderes Mitteilungsbedürfnis hat. Und wenn ja, welches...
Zum Glück hat mein Wallach sehr viel Verständnis, für seinen strubbeligen Menschen, der öfter mal neben dem Korall auf dem Schlauch steht und bedient sich extra für mich einer recht leserlichen Körpersprache.
Vom zuletzt erwähnten, leicht esoterisch angehauchten Umgang mit Pferden mag man halten, was man will, Fakt ist, daß der Umgang mit Pferden, wenn man dafür empfänglich ist, für Geist und Körper recht heilsam sein kann.
Selbst bei Hardcore-Fällen wie dem Meinigen zur Zeit, kann ich jedem, der wie ich gerade gegen Krebs kämpft und die Chemo mit all ihren langwierigen, lästigen und schmerzhaften Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen verdauen muss, so eine begleitende „Pferdetherapie“ wärmstens ans Herz legen. An körperliche Anstrengungen inklusive Sport ist schlichtweg nicht zu denken, egal, wie sehr man versucht stark zu bleiben, der Körper macht da einfach nicht mit. Der Kopf versteht ganz oft nicht, warum das jetzt ein Problem sein soll, einfach mal von A nach B zu gehen, ohne auf halber Strecke zusammen zu brechen. Man hat sich ganz leichte Sachen vorgenommen, wie zum Beispiel sein Pferd vom Stall auf die Koppel zu bringen, hat den Strick schon in der Hand und stellt dann auf dem Weg zur Box mit wachsender Verzweiflung fest, daß man es nicht schaffen wird, seinen muskelbepackten Wallach für den man nicht nur mentale Stärke, sondern auch ab und an einen starken Arm braucht, unfallfrei über den Platz zu führen. Es geht nicht alleine. Man muß sich Hilfe holen.
Wenn man aber nach langem Verdrängen und mit sich Ringen einmal für sich akzeptiert hat, daß es jetzt gerade nicht so ist wie früher, daß man gerade durch eine schwere Zeit geht, daß man der Gesundheit zu Liebe auf viel verzichten muß wie zum Beispiel das geliebte Reiten, daß es okay ist, sich oft schwach und nutzlos zu fühlen aber die Hoffnung nicht verliert, daß man es schaffen wird und daß man irgendwann wieder über die Felder galoppieren wird, kann einem sein Pferd sehr bei den oft wiederkehrenden körperlichen und geistigen Tiefs behilflich sein. Auch wenn man gezwungen ist, mit den Füßen am Boden zu bleiben und sogar zum Putzen manchmal zu schwach ist, geschweige denn in der Lage wäre mal heimlich auf seinen Rücken zu klettern … einfach nur so.

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Alles Glück dieser Erde Allein die Gegenwart eines Pferdes empfinde ich als extrem tröstlich. Es reicht schon, ein Pferd (es muss nicht unbedingt das Eigene sein) in seinem Zuhause zu besuchen. Sich daneben zu stellen oder zu setzen, mal gar nichts von ihm zu wollen und zu sehen, was passiert, ist auf jeden Fall mal eine Erfahrung wert. Kein Putzen, kein Fummeln, kein Schmusen wollen, kein Aufhalftern, Satteln oder gar Einspannen, einfach nur da sein. Das allein ist für den begeisterten Pferdefreund manchmal schon ein richtiger Kraftakt.
Wenn man das Pferd Pferd sein lässt, bemerkt man, daß auch der equine Freund schon mal „seine Tage“ hat und entweder hat er gerade gar keinen Bock auf Menschen und im besten Fall ignoriert er dich nur (im schlimmsten Fall scheucht er dich aus seinem Kielwasser) oder er ist gnädig gestimmt und hat Lust, sich mit dir zu beschäftigen und kommt ganz freiwillig auf dich zu und fragt, wie`s so geht. Erfreulicherweise ist letzteres öfter der Fall und ich kann neben ihm „Pferd sein“ üben. Dann stehen wir zusammen einfach nur rum oder gehen ein paar Schritte um dann wieder einfach nur rum zu stehen. Dabei gebe ich mir Mühe, ihn nicht zu oft anzufassen. Es sei denn, er berührt mich, dann berühre ich zurück.
An Tagen, an denen man selber nicht gut drauf ist und es Körper und Geist an Energie und Antrieb fehlt, ist es geradezu ideal, daß da im Stall ein Energiebündel steht, bei dem man sich bedenkenlos was abzapfen kann. Es funktioniert tatsächlich und man muss nichts weiter tun, als sich einfach friedlich daneben zu stellen und die Anwesenheit und geballte Energie des equinen Freundes zu genießen, ihm beim Kauen zuzugucken und von seiner Stärke, Ruhe und Gelassenheit zu partizipieren. Auf dem Weg nach Hause stellt man dann plötzlich fest, daß sich die dunklen Wolken verzogen haben und warme Wellen von positiver Energie den Körper durchströmen. Wenn ich jetzt versuchen wollte, dieses Gefühl, das ich jedes Mal habe, wenn ich beim Pferd war, in Worte fassen zu wollen, würde ich das vorsichtig so formulieren:
„Ich bin glücklich.“

Text: Nadja von der Hocht
Fotos: Wolfgang von der Hocht